Schwieriges Ringen um Beihilfe zur Selbsttötung
Die einen nennen den Gesetzesentwurf restriktiv und sind froh um klare Abgrenzungen und Regeln. Den anderen gehen die Regelungen nicht weit genug.
Ein Blick in Länder, die die Beihilfe zur Selbsttötung bereits erlaubt haben, lehrt: Es bleibt nicht bei einem ersten Gesetz. Es dauert einige Zeit und die nächste Klage liegt am Tisch. In den Niederlanden kann jedes Leiden sofort beendet werden, wenn es als unerträglich diagnostiziert wurde, z. B. Demenzkranke, Depressive, Menschen mit Borderline-Störung oder mit Behinderung, Alkoholkranke. Auch Kinder! Seit dem Jahr 2002 haben hier mehr als 60.000 Menschen die „Euthanasie“ in Anspruch genommen.
Der Schweizer Psychiater Raimund Klesse etwa ortet in den Ländern, die die Beihilfe zum Suizid oder gar die Tötung auf Verlangen straffrei stellten, den Eintritt einer Schieflage. Zuerst wird die Straffreistellung für Sterbens- und Schwerkranke gefordert. Dann für psychisch und an Demenz erkrankte Personen. Es folgt die Diskussion über die Möglichkeit des assistierten Suizids für Häftlinge und Menschen mit Altersbeschwerden. Schließlich wird der Zugang zum Freitod für alte Menschen, die zwar gesund, aber „lebenssatt“ sind, gefordert. Last but not least: Es kommt zu Auswirkungen auf die Ärzte, Pfleger und Wissenschaftler, die aus ihrem Dienst am Leben einen Dienst am Tod machen müssen. Was geschieht mit Institutionen, die die Beihilfe zur Selbsttötung in ihren Heimen nicht zulassen wollen? In der Schweiz er[1]halten sie keine finanziellen Förderungen mehr, wenn sie diese „Dienstleistung“ nicht anbieten.
Wer Sterbehilfe nicht will, muss für optimale Sterbebegleitung sorgen“, sagt Kardinal Franz König. Diesbezüglich ist der Ausbau der Palliativ Care ein Schritt in die richtige Richtung. Bleibt zu hoffen, dass der Damm hält und der Respekt vor dem Leben nicht Schaden nimmt und den Menschen in einer verletzlichen Phase ihres Lebens das Leben bis zum Ende vergönnt bleibt.
Gudrun Kattnig, 26. Oktober 2021