Österreich – das Land mit den höchsten Transferleistungen für Familien?
Historisches
Bis 1941 Prinzip der Haushaltsbesteuerung = Zusammenveranlagung der Einkommen beider Ehegatten (Zusammenrechnung der Einkommen vor Anwendung des Tarifes).
Ab 1942 Prinzip der Individualbesteuerung = Lohnsteuerpflichtige (nicht selbständig Erwerbstätige) werden einzeln, also individuell und unabhängig vom Familienstand besteuert. Einkünfte der Ehefrau aus nichtselbständiger Arbeit in einem dem Ehemann fremden Betrieb werden nicht mehr mitveranlagt. Dies soll Frauen den Anreiz zur Erwerbstätigkeit erhöhen (Beschäftigungspolitik).
Für Selbständige (Einkommensteuerpflichtige) gilt die Haushaltsbesteuerung auch nach Kriegsende (§ 26 Abs. 3 EStG 1953). Sie wird 1958 vom VGH als verfassungswidrig *erklärt, jedoch bis 1972 verlängert (bis 1960 durch eine Reihe von auch rückwirkenden Verfassungsbestimmungen).
*)In Deutschland führte ein ähnliches Erkenntnis des BVG folgerichtig zum Ehegattensplitting. Aus heutiger Sicht (immer weniger (Ehe)Paare haben Kinder) wäre es eher für Paare mit Kindern als für kinderlose Paare gerechtfertigt.
Im EStG 1953 gibt es drei Steuergruppen:
- Standardtarif (Gruppe II) gilt im Wesentlichen für Familien (verheiratete Personen und Personen mit Kindern), die Sätze liegen zwischen 4 % und 50 %.
- Die Steuersätze für Ledige (Gruppe I) liegen bis zum etwa Fünffachen des Grundfreibetrags beim 1,5-Fachen der Gruppe II, bei höheren Einkommen sind sie um 9 % höher, jedoch maximal 55 %.
- Für Familien mit Kindern (Gruppe III) gibt es je Kind eine „Kinderermäßigung“ in Form einer einkommensabhängigen Reduktion des Steuersatzes. Ab 1963 wird die Kinderermäßigung je Kind nicht nur nach Einkommen sondern auch nach Kinderzahl gestaffelt.
Im EStG 1967 liegen die Steuersätze
- der Gruppe II zwischen 8 % und 47 %,
- die der Gruppe II bis zum etwa Dreifachen des Grundfreibetrags beim 1,45Fachen, darüber hinaus um 7 % höher, jedoch maximal 52 %.
- Die Gruppe III wird aufgelassen und anstelle der Kinderermäßigung tritt ein Kinderfreibetrag in Höhe von etwa 60 % des Grundfreibetrages.
Unterhaltsleistungen an geschiedene Ehegatten sind als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn der Unterhalt leistende Ehegatte wiederverheiratet ist.
Im EStG 1972
- Gilt ein Standardtarif für Alleinstehende und Familien.
- Die Steuersätze werden auf 20% bis 62 % erhöht.
- Der Kinderfreibetrag wird durch einen Kinderabsetzbetrag ersetzt. Ab 1978 entfällt auch dieser.
Unterhaltsleistungen an geschiedene Ehegatten werden ab 1978 als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt.
Ab 1978 gibt es im Steuerrecht keine Berücksichtigung mehr von Unterhaltslasten für Kinder.
Was der frühere Finanzminister Hannes Androsch zu seiner größten und nachhaltigsten Leistung zählt hat in Wahrheit Hjalmar Schacht bereits 1941 erledigt. Als 1978 der § 26 Abs. 3 (Haushaltsbesteuerung) entfällt, hat das keine wesentliche Auswirkung auf Lohnsteuerpflichtige. Würde Androsch unter seinen Leistungen allerdings den Wegfall des Kinderfreibetrages und die daraus entstehende Steuermehrbelastung von Eltern im Vergleich zu Alleinstehenden meinen, so hätte er Recht:
In seinem seit 1978 gültigen System profitieren Personen mit wenig(er) Kindern und besonders Kinderlose mit hohem Einkommen. Mit jeder Tarifreform steigt dieser Vorteil und somit die damit korrespondierende Diskriminierung der Familien. (Motto: „Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen“). Die Steuermehrbelastung unterhaltspflichtiger Eltern erhöht sich systemimmanent, weil die durch Kinderlasten entstehende unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Steuerzahler nicht berücksichtigt wird. Diese Mehrbelastung dürfte für die sinkende Geburtenrate maßgeblich mitverantwortlich sein, denn der Wegfall des Kinderfreibetrages erhöht den Zwang zur Erwerbstätigkeit der Frauen.
Familienlastenausgleichsgesetz 1967
In den „Erläuternden Bemerkungen“ zum Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und seinem Vorläufer 1954 heißt es wortgleich:
„Der Ausgleich der finanziellen Mehrbelastung, die die Ernährung, Bekleidung, häusliche Unterbringung, (Pflege, Betreuung) und Erziehung von Kindern verursacht, ist nicht nur eine Forderung der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch eine gesellschaftliche Existenznotwendigkeit. Der Ausgleich der Familienlasten hat zwischen denjenigen zu erfolgen, die die Lasten im Interesse der gesamten Gesellschaft tragen, und jenen, die solche Lasten nicht zu tragen haben, jedoch bewusst oder unbewusst daraus Nutzen ziehen, dass andere es für sie tun . . .
Die Gewährung der Beihilfen ergänzt die auf dem Gebiete des Einkommensteuerrechtes vorgesehene Kinderermäßigung. . . . Dieses Zusammenspiel zwischen den Ausgleichszahlungen (Beihilfen) und der Steuerpolitik ist notwendig, damit diese familienpolitischen Maßnahmen nicht nivellierend wirken und den Grundsatz des Leistungs-lohnes bzw. des Leistungsertrages nicht beeinträchtigen“ (549 BlgNR 11.GP, vom 6.6.1967).
Einkommensteuergesetz 1967
Mit der auf dem Gebiete des Einkommensteuerrechtes vorgesehenen Kinderermäßigung ist der Kinderfreibetrag gemeint, damals je Kind in Höhe von 58 % bis 67 % des laut Tarif zustehenden Grundfreibetrages jedes Einkommensbeziehers. Auf heutige Verhältnisse übertragen entspricht das einem Kinderfreibetrag von etwa 6.600 Euro anstelle des derzeit gültigen von 220 Euro je Kind und Jahr.
Mit Familienbeihilfe und Kinderfreibetrag bleibt bis zum Anfang der 70er-Jahre das Kindes-Existenzminimum weitgehend steuerfrei.
Der Entfall des Kinderfreibetrags in den 70er Jahren bedeutet heute (gemessen am derzeit gültigen Grundfreibetrag) eine Steuermehrbelastung der Familien in Höhe von 2.400 bis 3.300 Euro je Kind und Jahr.
Die „Abgeltung“ der Steuermehrbelastung durch die Familienbeihilfe laut § 34 EStG
Als der Verfassungsgerichtshof 1991 zum ersten Mal auf die entstehende Steuermehrbelastung, die durch die Nichtberücksichtigung der Kinderlasten unterhaltspflichtiger Eltern im Vergleich zu Alleinstehenden hinweist (G 188/91 vom 12.12.1991), wird im Paragraph 34 (außergewöhnliche Belastungen) des Einkommensteuergesetzes der Abs7 Z1 (im Folgenden: Abgeltungssatz) eingefügt:
„(7) Für Unterhaltsleistungen gilt folgendes:
1. Unterhaltsleistungen für ein Kind sind durch die Familienbeihilfe sowie gegebenenfalls den Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs3 abgegolten, und zwar auch dann, . . .“
Dadurch verlieren Eltern im Ergebnis die Familienbeihilfe, auch wenn diese „Art der Rückzahlung der vorerst (verfassungswidrig) höher eingehobenen Steuerbeträge“ (1099 BlgNR 20.GP) weiterhin unter dem Namen Familienbeihilfe erfolgt.
Bei der Familienbeihilfe handelt es sich heute somit nicht mehr um eine Familienförderung im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes. Sie ist entweder eine erste Sozialhilfeleistung, wenn das Einkommen der Eltern schon für das eigene (steuerliche) Existenzminimum nicht ausreicht, oder die Abgeltung bzw. Rückzahlung der „ungleich“ höheren, als verfassungswidrig erkannten Steuer auf Kinder.
Als unbeabsichtigter Nebeneffekt wird damit das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Abgeltung der Steuermehrbelastung im Wege der Familienbeihilfe im Einkommensteuergesetz verankert.
Dadurch wird das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 mit dem Einkommensteuergesetz 1988 so verknüpft, dass sich Änderungen bei der Familienbeihilfe unmittelbar auf die Steuerbelastung auswirken: Bei der nun geplanten Streichung der Familienbeihilfe von etwa 2.400 Euro je Kind und Jahr geht es im Ergebnis um die Erhöhung der als verfassungswidrig erkannten Steuermehrbelastung um (weitere) 2.400 Euro. Es handelt sich dabei nicht um die Streichung von Transferleistungen sondern um die Erhöhung der vom VfGH und vom Gesetzgeber als verfassungswidrig erkannten Steuer auf (den Unterhalt der) Kinder.
Die Erläuterungen für die erstmalige Einfügung des Abgeltungssatzes im Jahr 1993 als Reaktion auf das erste VfGH-Erkenntnis bestehen im Wesentlichen aus Berechnungen des Finanzministeriums zu 66 Familiensituationen, die beweisen sollten, dass die verfassungswidrige Steuermehrbelastung durch Familienbeihilfe und einen neu hinzukommenden Kinderabsetzbetrag abgegolten werden kann (463 BlgNR 18.GP). Diese Berechnungen enthalten mehr als 200 vom Finanzministerium im Nachhinein bestätigte Fehler, durch die die Neuregelung verfassungskonform erscheinen sollte.
Im Kontext mit den zugehörigen Erläuterungen und den zugrundliegenden VfGH-Erkenntnissen ist der Abgeltungssatz (§34 Abs7 Z1) daher wie folgt zu lesen:
„(7) Für Unterhaltsleistungen gilt folgendes:
1. Die verfassungswidrige Steuermehrbelastung auf Unterhaltsleistungen für ein Kind ist durch die Familienbeihilfe sowie gegebenenfalls den Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs3 abgegolten, und zwar auch dann, . . .“
Bei der Formulierung des Einkommensteuergesetzes handelt es sich somit offensichtlich um eine bewusste Täuschung, der nach 20 Jahren auch Regierungsmitglieder, gewollt oder ungewollt, unterliegen, wenn sie nicht mehr wissen, wozu sie die Familienbeihilfe spätestens seit 1993 gemacht haben.
Im Anschluss an das erste Gesetzesprüfungsverfahren lässt Finanzminister Lacina die verfassungswidrige Steuermehrbelastung ermitteln:
Die Summe der Steuermehrbelastung ist deutlich höher als die Summe aller Familienbeihilfen! Das bedeutet, dass die Beiträge für die Familienbeihilfe mindestens zweimal eingehoben werden: einmal von den Familien, die mehr als ihr persönliches Existenzminimum erwirtschaften, und ein zweites Mal von den Arbeitgebern.
Als der Verfassungsgerichtshof im Juni 1996 erneut ein Gesetzesprüfungsverfahren zur Steuermehrbelastung der Familien einleitet, und u.a. den neu eingefügten Abgeltungssatz ins Visier nimmt, will der Finanzminister im Chaos der Vorbereitung eines „Sparpakets“ den Abgeltungssatz als Verfassungsbestimmung festschreiben, kann dieses Vorhaben in der Koalition aber nicht durchsetzen. Damit wäre jede beliebige Steuermehrbelastung von Familien möglich gewesen, solange irgendein beliebiger Betrag unter dem Namen Familienbeihilfe ausbezahlt wird.
Der Abgeltungssatz wird neben anderen, Familien diskriminierenden Bestimmungen vom VfGH durch das zweite Erkenntnis (G 168/96 vom 17.10.1997) aufgehoben und vom Gesetzgeber mit folgender Begründung wieder eingefügt (1099 BlgNR 20.GP): (!)
Unter „6.2 Am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierte Betrachtungsweise“ heißt es:
„Hat man primär diese (Anm: die vom VfGH besonders betonte horizontale Lastenverteilung) im Auge, so muss es letztlich gleichgültig sein, ob sie durch eine Steuerentlastung eintritt oder ob die Wirkungen einer Steuerentlastung durch eine Art ‘Rückzahlung’ der zunächst höher eingehobenen Steuerbeträge im Wege einer Transferleistung eintreten“.
Auch wenn die Abgeltung der verfassungswidrigen Steuermehrbelastung ab 1993 unter dem täuschenden Namen Familienbeihilfe erfolgt, verlieren Eltern, die mehr als ihr eigenes Existenzminimum erwirtschaften, im Ergebnis das Recht auf Familienbeihilfe.
Geht man nach wie vor von (neben der Familienbeihilfe) für das Kindes-Existenzminimum notwendigen Unterhaltsleistungen von etwa 60 % des steuerfreien Existenzminimums aus, so belaufen sich die „zunächst höher eingehobenen Steuerbeträge“ heute auf 2.400 bis 3.300 Euro je Kind und Jahr.
Diese Steuermehrbelastung durch die Wirkung des Kinderfreibetrags von 220 Euro (!) und den Kinderabsetzbetrag von 711 Euro auf etwa 1.600 bis 2.500 Euro gemildert. Das ist jener Betrag, um den Personen ohne Kinder weniger Steuer zahlen bzw. entlastet werden, wenn sie sich mit Eltern vergleichen, die – bei gleichem persönlich verfügbarem Einkommen, dem Maßstab für die Bemessung der Steuer – nur für ein Kind mehr zu sorgen haben. (Genau genommen geht es um den Vergleich von Personen mit mehr Kindern und solchen mit weniger oder keinen Kindern).
Im Ergebnis bedeutet eine Nicht-Berücksichtigung des Kindes-Unterhalts unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes eine steuerliche Förderung von Kinderlosen.
Die im internationalen Vergleich höchsten monetären Familienleistungen
Nehmen wir als Beispiel Deutschland; beim Vergleich der Steuer eines Alleinstehenden und einer Familie auf Basis des jeweils gültigen steuerfreien Existenzminimums ergibt sich:
Durch das Partnersplitting bleibt bei Familien in jedem Fall das Zweifache des Grundfreibetrags eines Alleinstehenden steuerfrei, das wären bei uns 22.000 Euro netto.
Je Kind besteht Anspruch auf einen Kinderfreibetrag in Höhe von 88 % des steuerlichen Existenzminimums, das wären bei uns 9.680 Euro netto.
Für eine Familie mit zwei Kindern wäre somit ein Netto-Einkommen von 41.360 Euro steuerfrei; die Steuer dafür beträgt bei uns 19.182 Euro, das dazu notwendige Einkommen (vor Abzug der Steuer, noch ohne SV-Beiträge) wäre 60.542 Euro.
Ein Alleinstehender zahlt für sein Existenzminimum keine Steuer. Die Abgeltung der im Vergleich zu diesem Einkommensbezieher höheren Steuer müsste 19.182 Euro betragen anstelle der Transferzahlungen von etwa 4.800 Euro.
Da es in Deutschland im Gegensatz zu Österreich keine „vorerst höher eingehobene Steuer“ auf Kinder gibt, und das steuerfreie Existenzminimum von Personen ohne Kinder wesentlich niedriger ist,
• benötigen deutsche Familien im Vergleich zu Alleinstehenden nicht so exorbitant hohe Einkommen um das Existenzminimum ihrer Kinder abzudecken
• benötigt der Staat keine Transferzahlungen, um die Steuermehrbelastung im Vergleich zu Einkommensbeziehern ohne Kinder „abzugelten“.
Gibt es in Deutschland Familien-Transferzahlungen, so handelt es sich um echte Familienleistungen und nicht um „eine Art ‘Rückzahlung’ der zunächst höher eingehobenen Steuerbeträge im Wege einer Transferleistung“.
Bei der verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Gleichbehandlung müssen sowohl unterschiedliche Kinderzahlen als auch unterschiedliche Einkommen der Eltern berücksichtigt werden. Das kann in einem System mit progressiven Sätzen nur mit einem Familiensplitting erzielt werden.
Die Steuermehrbelastung volljähriger Kinder ist seit 1996 per (Gesetzes)Definition verfas-sungswidrig.
Mit dem Wintersemester 1996/1997 wird das Familienlastenausgleichsgesetz im Zuge der ähnlich wie im Jahr 2010 chaotisch verlaufenden Vorbereitung eines Sparpaketes dahingehend geändert, dass für Studierende nach Vollendung des 26. Lebensjahres keine Familienbeihilfe mehr gewährt wird und dadurch auch die verfassungswidrige Steuermehrbelastung nicht mehr „abgegolten“ wird. Immerhin sind sich Regierung und Gesetzgeber damals (noch) bewusst, dass diese Maßnahme verfassungswidrig ist.
Daher hält man die Einfügung einer Verfassungsbestimmung als Z5 in §34 Abs7 EStG für notwendig:
„5. (Verfassungsbestimmung) Unterhaltsleistungen an volljährige Kinder, für die keine Familienbeihilfe ausbezahlt wird, sind . . . weder im Wege eines Kinder- oder Unterhaltsabsetz-betrages noch einer außergewöhnlichen Belastung zu berücksichtigen“.
Mit dem Inkrafttreten dieser Verfassungsbestimmung verlieren Eltern von Studierenden, die das 26. Lebensjahr vollendet haben, nicht nur den Anspruch auf Familienbeihilfe sondern auch das Recht auf die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Gleichbehandlung mit Kinderlosen.
In dem nun vorliegenden Begutachtungsentwurf für das Sparpaket 2011 soll für Jugendliche in Ausbildung der Anspruch auf Abgeltung der Steuermehrbelastung (im Wege der Transferzahlungen Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag) um weitere Jahre gesenkt werden. Bereits ab 1993 verlieren alle Familien, die mehr als ihr eigenes Existenzminimum erwirtschaften, die Familienbeihilfe im ursprünglichen Wortsinn, d.h. nach den Erläuterungen zum Familienlastenausgleichsgesetz.
Die Geltendmachung dieser verfassungswidrigen Steuermehrbelastung im Wege einer außergewöhnlichen Belastung ist durch die Wortfolge „volljährige Kinder“ in der Verfassungsbestimmung des §34 Abs7 Z5 blockiert. Diese Verfassungsbestimmung beurteilt der VfGH wie folgt:
„Der Gesetzgeber gibt damit nicht nur zu erkennen, dass er eine steuerliche Berücksichtigung des Unterhalts auch in diesen Fällen für erforderlich (einen Ausschluss daher für verfassungswidrig) hält“ (vgl. zB: VfGH B 2366/00 vom 04.12.2001).
Der Gesetzgeber gibt damit „nicht nur“ zu erkennen, dass er die von ihm erlassene Bestimmung von vorne herein für verfassungswidrig hält, sondern auch, dass er sich um die Verfassung und Erkenntnisse des VfGH keinen Deut schert (das „sondern auch“ hat sich der VfGH offensichtlich in letzter Minute verkniffen).
Der VfGH hat zwar schon einmal eine Verfassungsbestimmung als verfassungswidrig aufgehoben. Wollen sich Eltern beim VfGH über die steuerliche Ungleichbehandlung beschweren, sollten Unterhaltsleistungen für Kinder besser nicht unter dem Titel „außergewöhnliche Belastungen“ geltend gemacht werden.
Die pervertierte soziale Gerechtigkeit
Eine Regelung, die Unterhaltsleistungen von (laut OGH) unterhaltsbedürftigen Kindern bei der Besteuerung außer Acht lässt, ist auch nicht mit sozialpolitischen Erwägungen zu rechtfertigen. Das gilt selbst dann, wenn die Regelung lediglich Steuerpflichtige mit überdurchschnittlichem Einkommen trifft. Es ist das Gegenteil von sozialer Gerechtigkeit, wenn Kinderlose bei gleicher Leistungsfähigkeit, d.h. bei gleichem persönlich verfügbarem Einkommen, weniger Steuer zahlen und allein durch ihre Kinderlosigkeit steuerlichen Nutzen ziehen. Auch ein Einkommensmillionär mit Kindern ist weniger leistungsfähig als einer ohne Kinder.
Selbst Einkommensbezieher mit (wenig) Kindern und überdurchschnittlichem Einkommen profitieren im System der Individualbesteuerung, wenn sie sich mit Einkommensbeziehern gleichen Einkommens jedoch mit mehr Kindern vergleichen. Auf diesem Auge sind unsere Regierungsmitglieder und unsere Abgeordneten blind.
Soziale Ungerechtigkeit ist der Individualbesteuerung mit progressiven Sätzen systemimmanent: Weder eine unterschiedliche Kinderzahl noch unterschiedliche Einkommen der Eltern können mit dem Prinzip der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit in Einklang gebracht werden. Die horizontale Steuergerechtigkeit – gleiche Steuer bei gleicher Leistungsfähigkeit für Personen mit und ohne Kinder – kann mit diesem System nicht erzielt werden.
Im System der Individualbesteuerung wird soziale Gerechtigkeit pervertiert: Der absolute Nachteil von Familien steigt mit steigendem Einkommen und steigender Kinderzahl, der relative Nachteil ist bei niedrigem Einkommen am höchsten (Wenn eine Alleinerzieherin 100 Euro Steuer zahlt, zahlt sie nur 100 Euro aber 100 % zu viel). Unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes heißt das: Der absolute Vorteil aus dieser Ungleichbehandlung ist bei Kinderlosen mit hohem Einkommen am höchsten, der relative Vorteil bei Kinderlosen mit niedrigem Einkommen.
Kann eine verfassungswidrige Budgetsanierung „alternativlos“ sein?
Der Finanzbedarf des Staates ist nicht geeignet, eine verfassungswidrige Steuer zu rechtfertigen. Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen ist, muss er auf die gerechte Verteilung der Lasten achten. Die verfassungsrechtlich gebotene, d.h. dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Verteilung der Steuerlast könnte laut VfGH gleichzeitig zur Budgetsanierung verwendet werden „durch eine der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit entsprechende unterschiedliche Verteilung der Steuerlast – also durch eine Umschichtung zulasten der nicht Unterhaltspflichtigen“.
Leider hat schon Lacina diesen Tipp nicht verstanden.
Dieter Mack
Klagenfurt im Dezember 2010