Familienminister Reinhold Mitterlehner und die Wissenschaft
"Je mehr Kinderbetreuungsplätze wir anbieten, umso besser für die Entwicklung der Kinder. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder aus Kinderkrippen bessere Bildungs-, Entwicklungs- und Zukunftschancen besitzen als Kinder mit nur einer Bezugsperson."
Mit dieser Aussage von Familienminister Reinhold Mittlerlehner, hat selbiger recht eindrücklich dargelegt, was er von Entwicklungsneurobiologie und Bindungsforschung versteht: nichts.
Den Nachweis seiner Aussage wird er erbringen müssen.
Bindung kommt vor Bildung. Ohne gelungene Bindung ist die Bildungsfähigkeit eines Menschen zeitlebens eingeschränkt. Zu keinem Zeitpunkt gab es klarere und fundiertere Belege dafür, dass ein Kind in den ersten Jahren hauptsächlich die eine exklusive Bezugsperson braucht. Die Lektüre von Dr. John Bowlby oder auch Prof. Ralph Dawirs sei wärmstens empfohlen.
Für eine gesunde Entwicklung sind die sogenannten „3 V“- Bezugspersonen unerlässlich: vertraut, verfügbar und verlässlich. Ein Kind braucht – gerade in der Phase, in der sein Gehirn sich entwickelt – nicht die vielen Beziehungen. Es braucht die Geborgenheit einer sicheren liebenden, schützenden und nährenden Beziehung. Dies ist Grundlage für alles andere.
Der Familienminister wäre gut beraten, sich kundig zu machen. Auch sollte er vielleicht einmal den Alltag einer Krippe kennenlernen, wo 2-3 Betreuerinnen für 20 kleine Kinder zuständig sind. Es fällt doch irgendwie auf, dass Politiker ihre eigenen Kinder lieber privat oder von einer „Nanny“ betreuen lassen. Wieso eigentlich?
Abgesehen, dass seine Aussage jeder Grundlage entbehrt, ist sie ein Schlag ins Gesicht vieler Eltern, die sich mühen ihren Kindern das Beste zukommen zu lassen. Wer vor allem in den ersten Lebensjahren ganz für seine Kinder da sein möchte, dem weht ein zunehmend raues Lüftchen um die Nase.
Man – meistens eher frau - steht damit in Verruf nicht bereit zu sein, der Gesellschaft eine Mehrleistung zu erbringen. Womöglich wird durch das Vorenthalten der wertvollen Arbeitskraft gar das europäische Wohlstandsprojekt gefährdet. Vor allem die Mütter sollten so rasch als möglich in den Erwerb und die lieben Kleinen eben in die Krippe. Denn die Wirtschaft braucht die Arbeitskraft der Frau und Kinderkrippen fördern angeblich auch den Arbeitsmarkt.
Mann/ Frau und vor allem Mutter fragt sich nur, für wen der Familienminister eigentlich als Lobbyist fungiert. Für die Kinder sicher nicht. Und auch nicht für die Mütter. Die warten seit langem darauf, dass ihre Arbeit für und in der Familie endlich als das anerkannt wird, was sie für alle ist: unersetzlich. Am Muttertag werden die Mütter in den Himmel gejubelt – im richtigen Leben haben sie herzlich wenig Lobby, wie uns eindrücklich vor Augen geführt wird.
Gudrun Kattnig
Download des Artikels in der Kleinen Zeitung vom 9. Mai 2013