Griff nach den Kindern
Ihr Fähigkeiten sollen an Standards gemessen und dokumentiert werden. Denn: Immer mehr Kinder zeigen Defizite im sprachlichen und sozialen Bereich. So weit so schlecht. Wie kann dem wirksam begegnet werden? Die Familienministerin fordert ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr.
Der laute Ruf nach mehr und früherer institutioneller Betreuung stößt jedoch nicht nur auf Zustimmung. Hirn- und Bindungsforschung mahnen zur Vorsicht. Bindung kommt vor Bildung. Nur gut gebundene Kinder, die eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Eltern haben, sind auch in der Lage, sich neuem Wissen zu öffnen. Förderung? Ja. Aber wie wäre es, gezielt Elternkompetenz zu fördern? Vor allem Eltern überhaupt die Möglichkeit einzuräumen, für ihre Kinder da zu sein?
Wirtschaftlicher Druck zwingt viele in ein hartes Erwerbsleben. Zudem wird der Status von Hausfrauen zunehmend entwertet. Ihre Tätigkeit zählt nur dann, wenn die zu versorgenden Kinder nicht die eigenen sind. Warum gilt heute: Erzieherin und Haushälterin ja – Hausfrau und Mutter in der eigenen Familie - nein danke?
Eltern leiden unter der Zerrissenheit verschiedenster Anforderungen. Verständlich, dass immer weniger ihren Wunsch nach Kindern verwirklichen. Wir brauchen aber Kinder. Im Fachjargon: die Zurverfügungstellung von "Humankapital" ist für die Existenz des Staates lebensnotwendig. Hier tut sich eine befremdliche, ja groteske Wirklichkeit auf. Einerseits haben die Eltern für fast alle finanziellen Belange ihrer Kinder selbst aufzukommen. Von Erziehung, Betreuung und Pflege bis zu Wohnraum, Brille, Federpennal, Zahnfüllung.
Andererseits nimmt der Eingriff des Staates in familiäre Bereiche immer mehr zu. Eltern scheinen unter einer Art Generalverdacht zu stehen, Verursacher von Defiziten zu sein, die in staatlichen Einrichtungen ausgeglichen werden sollen.
Gudrun Kattnig