Wer darf leben, und wer darf es nicht?
Ganz Spanien trauert um den kleinen Julen, der beim Spielen in einen
Brunnenschacht fiel. Wie gut, dass ein Leben viel Wert ist.
Das Bemühen um Julen zeigt, dass es Menschen gibt, die vollen Einsatz wagen,
im Versuch, um den Kleinen zu retten.
Nicht alle Kinder haben eine solche mediale Aufmerksamkeit wie Julen.
Man kann nicht überall Anteil nehmen.
Dabei hätten alle Kinder Aufmerksamkeit, Liebe, Schutz und Einsatz für
Ihr Leben verdient. Möchte man meinen.
Um das folgende zu lesen, braucht es Mut. Sie entscheiden, ob Sie es wissen
wollen, denn es ist ein sensibler Bereich und berührt ein Tabu.
Um der Kinder willen, die noch kleiner sind, als Julen, sei ihnen an dieser Stelle
eine Stimme verliehen. Es geht um Kinder vor ihrer Geburt.
In Österreich sieht die Gesetzeslage der eugenischen Indikation vor, dass beim
Verdacht (!)einer eventuell zu erwartenden Behinderung eines Babys, dieses bis
zum Einsetzen der Geburtswehen abgetrieben werden kann.
Es handelt sich um ausgewachsene Babys, drei Kilo schwer, 50 cm lang.
Voll lebensfähig, würden sie auf natürlichem Weg geboren werden.
Aber Kinder, die der eugenischen Indikation zum Opfer fallen, werden nicht lebend
geboren. Sie werden, um dies zu verhindern, vor der Geburt durch eine Spritze mit
Kaliumchlorid ins Herz getötet.
Würden sie die Geburt überleben, würden sie als Menschen gelten und stünden
damit unter Schutz.
Österreich 2019. Wer weiß es. Wer will es wissen. Ein Chromosom zu viel.
Pech gehabt. Die Folge ist die Tötung eines an sich lebensfähigen Menschen.
Auch in diesem Fall gilt der viel zitierte Satz von Ingeborg Bachmann:
Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.
Wer darf leben und wer darf es nicht? Wer bestimmt, wer leben darf?
Ein Thema, bei dem wir auf alles andere als eine rühmliche Vergangenheit
zurückblicken.
Es kommt immer wieder vor, dass Kinder ihre eigene Abtreibung überleben.
Das berühmteste Baby, der kleine Tim, ist vor kurzem im Alter von 21 Jahren in
Deutschland gestorben (www.tim-lebt.de). Tim hatte Glück. Er hatte eine liebevolle
Pflegefamilie, in der er bis zu seinem Tod in Geborgenheit leben durfte.
Wer möchte, dass Unrecht sich nicht wiederholt, sollte heute wissen wollen,
auch wenn es wehtut.
Und Einsatz wagen - auch wenn, wie im Fall des kleinen Julen, der Erfolg
nicht sicher ist.
Gudrun Kattnig
Geschäftsführerin des Katholischen Familienverbandes Kärnten