Kommentar zum Sterbehilfe-Urteil des VfGH
Welch krasser Gegensatz zu den Maßnahmen, die derzeit zur Eindämmung der Corona-Pandemie gesetzt werden. Während mit allen Mitteln versucht wird, Menschen vor einer Infizierung, und damit ihr Leben zu bewahren, kann künftig dem auf der Brücke sprungbereit stehenden lebensmüden Menschen zugerufen werden: Spring.
Einerseits werden Hochbetagte beklatscht, sofern sie vom Virus genesen, andererseits signalisiert der VfGH-Entscheid: Mach was du willst, es ist uns eigentlich egal.
Dies führt alle Bemühungen, Menschen vor einer Selbsttötung zu bewahren, ad absurdum.
Die Gefahr, dass kranke, beeinträchtigte und alte Menschen künftig unter subtilen Druck geraten, anderen nicht zur Last fallen zu sollen, ist groß. Das belegen Erfahrungen anderer Länder. Allen Warnungen der Ärzteschaft und Behindertenorganisationen zum Trotz, folgte der VfGH der Argumentation der Antragsteller und gab ein kostbares Gut preis: den unbedingten Schutz des Lebens.
Und doch war es auch zu erwarten. Denn es gibt zwei besonders verletzbare Gruppen. Neben denen am Lebensende, sind es jene, die am Anfang des Lebens stehen. Schätzungen zu Folge wird der Herzschlag von jährlich über 35.000 Menschen in Österreich gestoppt, bevor sie das Licht der Welt erblickt haben. Maßnahmen, die beitragen könnten, diese zum Himmel schreiende Not abzuwenden, werden allenfalls halbherzig gesetzt.
Das Leben ist ein Geschenk. Niemand kann es sich selber geben. Ob es aber auch als kostbar erlebt wird, hängt maßgeblich davon ab, ob über diesem Leben ein liebendes Ja und ein Willkommen ausgesprochen ist. Alle Menschen sehnen sich danach. Dieses Ja auch unter widrigen Umständen zu erringen wäre ein lohnendes Ziel einer solidarischen Gemeinschaft. Das lässt sich nicht erreichen, indem man einer Tötungskultur Vorschub leistet.
Gudrun Kattnig 12. Dezember 2020