Schneller, höher, stärker
Mehrmals hebt sie ein Bein und versucht das völlig Unmögliche. Nach sehr wenigen „Versuchen“ ist sie frustriert, dass sie da nicht hochkommt und beschwert sich laut. „Eeeehhh!“ (»Ich will da hinauf. Das darf doch nicht wahr sein, dass ich das nicht schaffe. Ich kann doch schon alleine gehen!«).
Schneller, höher, stärker
Schneller, höher, stärker – dieses Motto des französischen Dominikanerpaters Henri Didon wurde bei den Olympischen Spielen 1924 erstmalig öffentlich für den Sport verwendet. Es ist offensichtlich, dass „Wachsen“ im Menschen grundgelegt ist.
Klar, dass meine Enkelkinder ebenfalls wachsen möchten – auch wenn ihnen das nicht BEWUSST ist. Noch nicht. Es ist intuitiv wird in allen Dimensionen und Disziplinen betrieben. Schneller, höher, stärker heißt dann in der Sprache ihres kindlichen Wollens: Ich will höher hinauf! Ich will stärker werden (und dann einmal auch diesen Hammer heben können). Ich will sicherer werden (damit ich nicht nur gehen, sondern auch laufen und springen kann). Ich will so reden können, wie Mama und Papa und Oma und Opa! Ich will zählen, singen, Purzelbäume schlagen können!
Ich will … ich will MEHR. Ich will … schneller, höher, stärker…
Gabriel kann mit siebzehn Monaten mittlerweile sehr sicher gehen, kommt ohne Hilfe die Stiege hinauf und mit Hilfe wieder herunter. Unlängst hat er eine neue Herausforderung gefunden – höher, spektakulärer, riskanter. Es ist ihm im Indoor-Training spontan zugefallen. Gerade wollte er noch die Plastikdose mit den drei Tennisbällen vor mir verstecken. Mit spitzbübischem Grinsen (»Die findest du nie wieder, Opa!«) versteckt er sich hinter der Couch. Plötzlich fliegt mir die Dose mit den Bällen über die Schulter – begleitet von dem etwas krähendem Lachen von Gabriel hinter der Couch (»Überraschung, Opa!!«). Dann spüre ich seine Finger an den Schultern. Gabriel zieht sich mit größter Mühe hoch – auf der Rückseite der Couch kann er auf dreißig Zentimeter Höhe draufsteigen und das schafft er, weil er sich mit den Händen oben an der Lehne der Couch festkrallt. Er keucht und schnauft vor Anstrengung. Doch genug ist nicht genug. Als er hinter der Lehne steht, ist das nur der Anfang. Hoch das Bein (weitere vierzig Zentimeter) und – hops – ist er über die Lehne gerutscht und auf die Sitzfläche der Couch gekugelt.
„Hey – Gabriel.
Hast du das ganz alleine geschafft?“
„Ahhhrr!“ strahlt er mich an. Mit Reden hat er es noch nicht so. Aber sein „Ahhrr!“ hat neben dem triumphierenden auch noch einen ungeduldigen Unterton. Klar. Was ein erstes Mal geklappt hat, muss sofort durch Training verfestigt werden – und so schnell wie möglich geht’s wieder hinter die Couch und es beginnt – Keuchen und Schnaufen wie beim ersten Mal – ein neuer Aufstieg. (»Wahnsinn was ich heute gelernt habe. Das ist echt cool. Rauf da ... so, jetzt das Bein hoch ... wow ... anstrengend ... und drüber – JA! Noch einmal ...«).
Einmal kurz Durst löschen, dann sofort eine neue Runde. (»Zuerst hinauf. Geschafft. Kann ich ja schon. Hmmm... das mit dem Bein hoch ist mühsam ... ich werfe mich einfach vorne drüber ... geht nicht ... doch ... geschafft ... «). Dass Gabriel beim ersten Mal auf dem Kopf landet, macht wegen der weichen Couch nichts aus. Aber schon beim zweiten Mal stützt er sich auf die Hände und fängt den Schwung besser ab. Wahnsinn. Mut, Erkenntnis, Training – was für ein stolzer Tag!
Die glücklichsten Phasen meines Lebens
Wenn du mich fragst über die glücklichsten Phasen meines Lebens, so werde ich dir sagen, es sind diejenigen, wo etwas Neues passiert ist.
Aufbruch zum Studium, Ausziehen von zu Hause, Familie gründen, Haus bauen, Einstieg oder Veränderung im Beruf. Diese Phasen waren anstrengend. Sie haben mich gefordert, aber – es waren die glücklichsten. Jahre des Ausruhens ohne Veränderung waren zwar auch notwendig und richtig, aber die glücklichsten Jahre waren die anstrengenden. Definitiv.
Wachsen und Glücksgefühle geht für mich also Hand in Hand. Und so wie mich Entwicklung, Aufbau, Neues, Anstrengung … glücklich macht, muss ich auch vermuten, dass es meine Enkelkinder glücklich macht. Ich finde, es ist nicht bloß Training, um später „Alles“ zu können, was sie brauchen, sondern für mich ist es mehr – nämlich Wachsen – und darüber bzw. dabei glücklich sein!
Das Motto der Olympischen Spiele wurde übrigens am 20. Juli 2021 erweitert: Es heißt jetzt
„schneller, höher, stärker - gemeinsam“
Das heißt, auch Einstellungen, Leitlinien wie dieses Motto können wachsen und sollen das auch. Auch das macht glücklich!