Opa, erzähl mir eine Geschichte!
Unser Geschichten-Platz ist neuerdings die Wellness-Liege in unserem neuen Bad. Da kann man den Kopf- und den Fußteil in der Höhe verstellen und das ist schon der erste Arbeitsauftrag, den – obwohl nicht erteilt – Jonas gleich einmal ausführt. Ein paar Minuten später haben wir es uns auf der Liege gemütlich gemacht. Jonas kuschelt sich an meine Schulter. Bei erzählten Geschichten hat man die Hände frei fürs Kuscheln und natürlich auch, um die Geschichte mit Gestikulieren möglichst gut zu untermalen.
„Kannst du dich erinnern, wovon ich letztes Mal erzählt habe?“
„Hmm … Jaa!! … Von … vom … Krabbeln!“
„Von den Krabben, Jonas. Nicht ‚Krabbeln‘ sondern ‚Krabben‘“!
„Krabben“
„Richtig, Jonas!“
„Also. Die Krabben sind ja am Ende der Geschichte wieder ins Meer zurückgekrabbelt. Kannst du dich erinnern?“
Kopfnicken.
„Und du weist noch die Farbe der Krabben?“
„Hmm … Rot!“
„Super, Jonas – du hast ein tolles Gedächtnis!“
Ich meine aber auch „Super Opa, DU hast ein tolles Gedächtnis!"
Das habe ich, weil ich beim Erzählen von Geschichten aufmerksam sein muss. Ich muss ganz da sein, sonst kann ich keine im Erzählen erfundene Geschichte erfinden und erzählen. Und wenn ich ganz da bin, weiß ich auch nach einer Woche ganz genau, was ich erzählt habe, was Jonas daran gefallen hat, was ihn irritiert hat und worüber wir gesprochen haben.
„OK. Nach einem Tag und einer Nacht im Wasser ist es den Krabben langweilig geworden. Nur immer im Wasser … Dann haben sie begonnen herum zu schwimmen. Sie wollten sehen, ob sie im Wasser interessante Dinge finden. Ich bin schon gespannt, ob sie was gefunden haben. Du auch, Jonas?“
Kopfnicken.
„Also zuerst haben sie nur Algen gefunden. Ganz, ganz lange Algen – so … Algen wie in unserem Schwimmteich. Das sind die grünen Pflanzen die vom Boden heraufwachsen – weißt du was ich meine?“
Kopfnicken.
„Aber die Algen kennen die Krabben schon. Da war ihnen noch immer langweilig ... Aber dann …“ (ich mache eine Kunst- und Nachdenkpause)
„Was ist dann?“
„Dann … ist auf einmal ein riesiger Schwarm Fische im Wasser gewesen. Ganz, ganz kleine Fische. Und sooooo viele! Und die glitzern und glänzen so … das muss ich dir unbedingt zeigen … Schau, ich gebe im Handy ein: ‚Fischschwarm‘ und ‚Bilder‘ … Schau, wie die glitzern und glänzen. Und es sind so viele!“
„Und dann?“
„Naja, überleg einmal Jonas – was passiert, wenn da viele Krabben von der einen Seite geschwommen kommen und viele Fische von der anderen Seite …“
„Was …?“
„Schau mal …“ Ich bewege meine Hände mit gespreizten Fingern langsam aufeinander zu. „Das hier sind die Krabben. Und das hier sind die Fische … und jetzt … jetzt … treffen sie aufeinander und es entsteht … wutsch-watsch-pitsch-patsch-titsch-tatsch-bumm!“.
Meine Finger spielen miteinander so schnell ich kann, meine Hände bewegen sich in alle Seiten und schließlich beginne ich, Jonas zu kitzeln und überall anzustupsen.
„So berühren die Fische die Krabben und die Krabben die Fische und die Fische die Krabben und die Krabben die Fische …“
Jonas zerkugelt sich vor Freude und die Bilder der Krabben und die Bilder der Fische vermischen sich mit den Körpereindrücken zu einer sinnlichen Gesamtkomposition. Das ist erzählte interaktive Multimedia-Geschichte! Super gemacht, Opa!
Next Level nach den gut erzählten ERFUNDENEN Geschichten sind gut erzählte WAHRE Geschichten.
Für kleine Kinder ist der Unterschied noch nicht wichtig bzw. noch nicht erkennbar. Für größere Kinder sind es die Erzählungen aus DEINEM Leben, DEINER Kindheit, die dann so richtig interessant werden. In dem Alter muss es dann auch nicht mehr die interaktive Multimedia-Geschichte sein. Da ist dann auch der Inhalt allein schon interessant genug.