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Da hängen noch ein paar Weintrauben, die – obwohl reif – nicht fertig geerntet wurden. Ich gebe ihr eine kleine Kostprobe – Obst ist noch etwas heikel bei ihr. Prompt verweigert Lenie. Aber sie will die Weintraube haben. Gut soll sie. Sofort drückt sie mir die ohnehin schon zerquetschte Traube auf die Lippen. Der Saft quillt zwischen ihren Fingern heraus und tropft von meinem Kinn.
»Die ist für dich, Opa. Essen mag ich nicht. Aber Füttern! Also Mund auf, Opa und runter damit«.
Reden kann Lenie noch nicht, aber ich hab sie natürlich verstanden. Ich mache ihr die Freude, schnappe zu, kaue dann genüsslich und würge mit einem merklichen Schluckgeräusch das Stückchen Weintraube hinunter, das ich noch im Mund spüre. Ein bisschen Theaterspielen macht uns beiden Freude. Und jetzt noch ein genüssliches „Aaahhh“ hinterher.
„Noch einmal Lenie. Bitte, bitte!“
Sie hat’s gecheckt und reißt sofort wieder eine Weintraube ab. Die ist zwar schon ziemlich vergammelt, aber so schnell kann ich nicht schauen, hat sie mir die Traube schon in den Mund geschoben. Ich komme mir vor wie beim Füttern der Tiere im Streichel-Zoo bzw. Fütter-Zoo. Nach ein paar Weintrauben reicht es mir.
Alles klebt und mir wird schon schlecht, aber Hauptsache, Lenie hat ihre Freude damit.
Ja, hat sie definitiv.
Wir brechen das Trauben-Füttern ab und erweitern unseren Aktionsradius indem wir unser Grundstück verlassen. Wie gesagt – es ist Herbst. Jede Menge Laub ist auf der Straße. Beim Nachbarn nicht nur Laub, sondern auch Nüsse, aber für die ist keine Zeit. Ab jetzt geht’s nämlich auf allen Vieren durch das Laub. Lenie hat ihre „Gatsch-Hose“ an – Kleidung, die für Kleinkinder-Outdoor-Action gemacht ist. Meine Jeans wird das auch aushalten. Was für’s Büro gut genug ist, ist auch gut genug für den Straßenboden.
Mitten im Gewühl hat Lenie dann eine blendende Idee. Sie hält inne im Krabbeln, setzt sich schön hin mitten in den Blätterhaufen und hält mir ein Nussblatt hin.
„Danke Lenie!“ Ich will ihr gerade das Blatt abnehmen, da weist sie mich mit einem empörten „eh!“ zurück.
„Was ist Lenie? bekomme ich das Blatt jetzt? Bitte, bitte!“
Wieder hält sie es mir hin. Zum Mund. Eindeutig.
„Nein Lenie, ein Blatt mag ich nicht essen. Die Trauben waren lecker. Aber nicht das Blatt.“
Sie ist ziemlich beharrlich, aber was zu weit geht, geht zu weit. Ich lasse mir doch kein Nussbaumblatt füttern. Irgendwann gibt sie auf. Trotz ihrer Beharrlichkeit – mit einem Jahr kann sie mir noch nicht das Wasser reichen. Nächstes Jahr dann vielleicht.
Aber jedenfalls haben wir was gelernt an diesem Tag. Weil beim gemeinsamen Essen am nächsten oder übernächsten Tag, werde ich wieder liebevoll von Lenie gefüttert. Ihre großen blauen Augen strahlen mich an vor Begeisterung. Und die aufgeweichten Brotstückchen und die angesabberten Trauben schmecken lecker! Jammi!