Matura um jeden Preis? Die Lehre als erfolgreicher Start ins Berufsleben
Dies betrifft nicht nur die Industrie: Seit 2012 sinkt die Lehranfängerquote, dabei sind die Erfolgsaussichten für Lehrlinge gut: „28 Prozent der österreichischen Führungskräfte haben zum Beispiel einen Lehrabschluss, gerade im mittelständischen Sektor“, berichtete Kurt Schmid vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft in der zweiten Keynote und bricht eine Lanze für das duale Ausbildungssystem: „Der große Vorteil in Österreich ist die große Vielfalt und wir sind gut beraten beide Säulen – die schulische und die betriebliche Ausbildung - zu stärken“, so der Experte.
In der anschließenden Podiumsdiskussion sprachen Lehrlinge, Ausbildner und Expertinnen über die Herausforderungen, mit denen sie aktuell zum Thema Lehre konfrontiert sind.
Das Image der Lehre zu stärken ist für Johannes Fenz, Direktor der Berufsschule Eisenstadt ein großes Anliegen: „Seit Jahren liest man in den Medien Abwertendes über Lehre und Lehrlinge, so wird ein funktionierendes System kaputtgeredet“, so seine Befürchtung und er hält fest: „Es liegt an unserer Definition von Bildung: Man muss nicht alles wissen und auswendig lernen. Meine Vorstellung von Bildung ist, jene Dinge zu wissen, um sein Leben zu meistern“, so Fenz, der seit über 30 Jahren in der Lehrlingsausbildung tätig ist und weiß: „Oft verfügen die Lehrlinge über einen wesentlich höheren praktischen Verstand als so mancher Uniabsolvent mit Doktortitel.“ Für ihn gibt es in der Diskussion wenig Neues, schon seit Jahren wird medial der schulischen Ausbildung deutlich mehr Platz eingeräumt als der Lehre.
Eine Beobachtung, die Edith Kugi-Mazza teilt, sie ist in der Arbeiterkammer Wien für das Thema Lehrlinge zuständig: „Seit 30 Jahren liest man, die Lehrlinge können nicht mehr vernünftig lesen und rechnen“, so die Expertin und berichtete von Presseaussendungen aus den 80er Jahren, die sich bereits mit dem vermeintlich schlechten Bildungsstand der Lehrlinge befassen. Damit hebt man das Image der Lehre nicht oder macht Lust sich für einen Lehrberuf zu bewerben .Einem jungen Menschen würde sie allerdings nicht uneingeschränkt zur Lehre raten: „Ich würde fragen, welche Lehre er oder sie gerne machen möchte und in welchem Betrieb das geplant ist“, so Kugi-Mazza und betonte, wie wichtig Qualität der Ausbildung und Arbeitnehmerrechte sind.
Das Hauptproblem sehen die Expertinnen und Experten in der neunten Schulstufe: „Hier gilt es die Jugendlichen umfassend zu beraten und ihnen zur Seite zu stehen“, sagte Sonja Schmöckel, sie ist im Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz für die Umsetzung des Projektes „Ausbildungspflicht bis 18“ zuständig und weiß um die Bedeutung der Lehre – sowohl betrieblich als auch überbetrieblich – für die Jugendlichen: In den Produktionsschulen und im Rahmen der Überbetrieblichen Lehrausbildung erhalten sie nicht nur die Möglichkeit in verschiedene Berufsmöglichkeiten hinein zu schnuppern, ihnen wird auch ein Betreuer oder Betreuerin zur Verfügung gestellt, der oder die sie bei der Wahl der Lehrstelle und während der Lehre begleitet: „Das ist besonders wichtig für Jugendliche, die keinen starken Rückhalt ihrer Eltern haben“, weiß Schmöckel. „Hier werden Jugendliche fit fürs Berufsleben gemacht, oft reicht ein Jahr in der Produktionsschule und dann ist die Reife und Eignung für eine richtige Lehrstelle da“, berichtetesie aus ihrer Erfahrung. Grundsätzlich wird in der Überbetrieblichen Lehrlingsausbildung und in Produktionsschulen stets ein Wechsel in die betriebliche Lehre angestrebt.
Förderung wird auch im Unternehmen von Doris Wirth groß geschrieben: Die Vizepräsidentin des Katholischen Familienverbandes bildet seit über 20 Jahren Lehrlinge aus: „Gerade KMU können gut auf Lehrlinge eingehen und diese gezielt und individuell fördern“, so Wirth und wünscht sich, dass generell in der Bildung mehr der Mensch im Fokus stehen sollte.
Nicht bereut hat Philip Nemeth, Mechatronik-Lehrling bei den ÖBB im dritten Lehrjahr seine Entscheidung für eine Lehre: „Ich habe mich bewusst für einen Polytechnischen Lehrgang entschieden weil ich wusste, da man hier viele Möglichkeiten hat Berufe auch in der Praxis auszuprobieren“, so der 18jährige. Ein Schnupperpraktikum im Bereich Mechatronik und ein Vortrag der ÖBB brachten ihn auf seinen heutigen Lehrberuf: „Nach einem Bewerbungsschreiben und dem bestandenen Aufnahmetest habe ich 2015 meine Lehre begonnen“, so Nehmet und bestätigt jetzt im dritten Lehrjahr: „ich würde das wieder so machen“. Besonders nützlich für den Lehrling war die Berufsorientierung, die innerhalb der Lehrzeit stattfindet. Dabei führen Lehrling und Ausbildner ein Feedback-Gespräch, stecken den zukünftigen Praxiseinsatz ab und planen die weitere Zukunft im Unternehmen nach dem erfolgreichen Lehrabschluss.
Einig waren sich alle Experten über den Wert einer abgeschlossenen Berufsausbildung: „Die höchsten Arbeitslosenraten findet man laut Statistik bei jenen mit nur Pflichtschulabschluss und bei jenen mit nur einem AHS Abschluss und diese steigen weiterhin“, weiß Schmid vom Institut für Bildungsforschung. „Eine Lehre kann ein sanftes Hineingleiten in eine gute berufliche Zukunft sein“, weiß Kugi-Mazza.
In der der anschließenden Diskussion wurde mehrmals auf die wichtige Funktion der Eltern bei der Berufsentscheidung hingewiesen und ihre besondere Rolle bei der Heranbildung der für das Leben notwendigen persönlichen und sozialen Kompetenzen betont.
Die beiden Keynotes als Powerpointfolie zum Herunterladen:
Vielfalt in der beruflichen Erstausbildung, Kurt Schmid
Lehrlingsausbildung aus Sicht der Industrie, Viktor Fleischer
Die Veranstaltung zum Nachhören:
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Fotos der Veranstaltung:
v.l.n.r. Moderator Roland Löffler, Edith Kugi-Mazza, Doris Wirth, Sonja Schmöckel, Johannes Fenz, Philip Nemeth, Kurt Schmid und Viktor Fleischer.
Abdruck honorarfrei, Credit: KFÖ/ Haschek