Was schulpolitisch wirklich erforderlich ist…
1. Schulpolitisch wurde zuletzt nur über das neue Lehrerdienstrecht geredet. Gibt es am Beginn des neuen Schuljahres nicht auch andere schulpolitische Notwendigkeiten?
Sicherlich! Gerade im Pflichtschulbereich besteht bei den Grundfertigkeiten Lesen-Schreiben-Rechnen akuter Handlungsbedarf. Deshalb fordert der Katholische Familienverband der Erzdiözese Wien einen verpflichtenden pädagogischen Ausbildungsteil für alle wienweit etwa 1000 in Einsatz stehenden Lesepatinnen und Lesepaten. Verpflichtende Schulungskurse sind eine wichtige Unterstützung dieser grundsätzlich begrüßenswerten Idee, die hauptsächlich von ehrenamtlich tätigen Seniorinnen und Senioren ausgeübt wird. Im Sinn der Kinder darf es aber nicht sein, dass pädagogisch ungeschultes Personal ohne Begleitung zum Einsatz kommt, wie dies in manchen Schulen passiert. Daher ist ein verpflichtender pädagogischer Ausbildungsteil im Sinn der Qualitätssicherung für alle Seiten notwendig. Selbstverständlich müssen bereits früher einschlägig erworbene Qualifikationen beim Einsatz von Lesepatinnen und Lesepaten anerkannt werden. Außerdem muss individuell auf Kinder eingegangen werden, die eine andere Erstsprache als Deutsch sprechen. Lesepatinnen und Lesepaten müssen gerade für den Einsatz an diesen Kindern geschult werden, um sinnerfassendes Lesen, Zusammenhänge und Bedeutung einzelner Wörter kindgerecht zu erklären.
2. Die Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl hat zuletzt mit ihrer Forderung nach einem verpflichtendem Kindergarten- oder in diesem Fall wohl Kinderkrippenbesuch aufhorchen lassen. Wie steht der Katholische Familienverband zu dieser Idee?
Diese Vorschläge von Susanne Brandsteidl laufen auf eine totale Verstaatlichung der Kleinkinderziehung hinaus und sind strikt abzulehnen. Brandsteidl hat ihre Vorschläge bezüglich Kindergartenpflicht auch damit begründet, dass Pädagoginnen und Pädagogen - im Gegensatz zu den Eltern - eine bessere Förderung der Kinder gewährleisten. Das primäre Erziehungsrecht der Eltern muss aber auf jeden Fall außer Frage gestellt sein. Abgesehen von allen Finanzierungsfragen ist eine so drastische Maßnahme wohl eine gravierende Verletzung des Subsidiaritätsprinzips. Dieses sieht den Vorrang der Familie gegenüber staatlichen Einrichtungen vor. Nur dort, wo die kleinere Gemeinschaft nicht mehr weiter könne, soll die größere Gemeinschaft einspringen. Von einer Verstaatlichung der Einjährigen ist wohl wirklich abzusehen.
3. Wie stehen Sie zur Reform der neuen Reifeprüfung, die gerade bei Schülerinnen, Schülern und Eltern für große Verunsicherung sorgt?
Nur eine teilzentrale Matura ist sinnvoll und kann die Verbindung von zentralen Standards und individuellen Schwerpunkten leisten. Zudem muss darauf geachtet werden, dass es durch die Zentralmatura nicht zu einer Nivellierung der Ansprüche und Beschränkung des vielfältigen Bildungsangebotes kommt. Wer wird etwa im Unterricht noch dem Lesen literarischer Werke ausreichend Zeit widmen können, wenn sie für die Zentralmatura irrelevant sind? Außerdem ist bei den bisherigen Vorbereitungen unberücksichtigt geblieben, dass Schülerinnen und Schüler, die dieselbe Matura schreiben, oftmals unterschiedlich viele Unterrichtsstunden in diesem Fach hatten, was logischerweise zu einem unterschiedlichen Wissensstand führt. So wird die Matura für die einen zu leicht oder für die anderen zu schwer werden. Unterrichtsministerin Claudia Schmied wäre gut beraten, dies im Sinne einer sinnvollen und gerechten Reifeprüfung zu berücksichtigen. Zu den Typ 2-Aufgaben in Mathematik fehlen zudem noch immer die Übungsbeispiele. Da in diesem Bereich noch viel an ministerieller Vorarbeit zu leisten ist, fordert der Katholische Familienverband der Erzdiözese Wien jedenfalls eine neuerliche Verschiebung der Mathematikzentralmatura. Es darf nicht sein, dass die jungen Menschen das Versagen der Behörde ausbaden müssen.
4. Wie stehen Sie zum neuen Lehrerdienstrecht?
Es ist sicher gut, dass junge Menschen am Beginn des Berufslebens und im Familienaufbau mehr verdienen und das Gehalt dafür gegen Ende weniger stark steigt. Gleichzeitig kann keine Gewerkschaft der Welt Arbeitszeiterhöhungen hinnehmen oder zustimmen, dass junge Menschen ihren Mehrverdienst durch Mehrarbeit gleichsam selbst finanzieren.
Wien, 1. 9. 2013
Mag. Mechtild Lang
Vorsitzende des KFVW
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